Das Turmrestaurant Steglitz ist eines der ungewöhnlichsten Gebäude Berlins: Durch Form, Farbe und Standort kaum zu übersehen und dennoch auf der kunstgeschichtlichen Landkarte der Stadt kaum wahrgenommen. Es ist zugleich Fremdkörper und Landmarke im Stadtbild, die Markierung des Mittelpunkts der Schloßstraße. Es ist sowohl typisches als auch einzigartiges Symbol für eine sich historisch überlebte Verkehrs- und Stadtentwicklungspolitik, die eine autogerechte Stadt propagierte und allen öffentlichen Schienenverkehr unter die Erde zu verbannen versuchte. Zudem ist es Zeitdokument einer von spannbetongeschwängerten Großprojekten geprägten Phase der Architektur und des Städtebaus in West-Berlin.
Das rasch vom Berliner Volksmund "Bierpinsel" getaufte Turmrestaurant entstand in den Jahren 1972 bis 1976 nach Konzeption und Entwurf vom Architektenehepaar Schüler-Witte als Teil des Verkehrsknotens Steglitz. Am Standort des Bierpinsels konvergieren zwei Straßenebenen und drei U-Bahnebenen, zukünftig womöglich noch eine Straßenbahntraße. Anlaß und Zweck des Turmes war den Architekten die städtebauliche Betonung dieses Knotens - zunächst nur als Skulptur geplant, dann als Aussichtspunkt und Ruhepol der belebten Einkaufsstraße weiterentwickelt. Diese funktionale und gestalterische Einheit, die der Turm mit der Hochstraße, der Schloßstraße und dem U-Bahnhof bildet, blieb weitgehend unverstanden. Zudem kann der Turm durch nie vollendete U-Bahnplanungen, bereits vollzogene Veränderungen an der Hochstraße sowie kontinuierlich sinkende Attraktivität des Angebots im Turmrestaurant mit zuletzt mehrjährigem Leerstand, seine integrative Funktion heute kaum mehr darstellen. Bauliche und gestalterische Mängel an der Hochstraße ließen zudem "Schmuddelecken" entstehen, die die öffentliche Reputation der Anlage empfindlich negativ beeinflussten.
Trotz der auffälligen und außergewöhnlichen Gestaltung ist die Anlage in der Fachwelt mehrheitlich unbeachtet geblieben. Es existiert keine nennenswerte Literatur über den Turm, den U-Bahnhof oder gar die Hochstraße - einzig einige Artikel aus der Bauzeit. Folglich ist diese Arbeit weitestgehend explorativ und stützt sich auf Primärquellen aus der Bauzeit. Der Fokus der Arbeit soll dabei explizit nicht nur auf dem Turm liegen, sondern auf der Gesamtanlage, deren einzelne Ebenen vom Turm miteinander verbunden werden. Bislang wurde keines der Einzelbauwerke unter Denkmalschutz gestellt. Während der Turm nach mehrjährigem Leerstand wieder einer Nutzung zugeführt worden ist und somit die äußere Gestaltung nicht akut gefährdet erscheint, nähert sich insbesondere der U-Bahnhof seiner bauqualitativen Halbwertszeit - ein Zustand der bei fehlendem Denkmalschutz vonseiten der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) mitunter zu radikalen gestalterischen Veränderungen führen kann. Die Hochstraße wurde in den 1990er Jahren bereits umfangreich umgestaltet und hat seine gestalterische Einheit mit den anderen Ebenen weitgehend eingebüßt - bemerkenswerter Weise nach Entwürfen derselben Architekten.
Die im April 2010 im Universitätsverlag der Technischen Universität Berlin erscheinende Arbeit widmet sich daher vorrangig einer Bestandsaufnahme der Anlage und stellt die gestalterischen, funktionalen und städtebaulichen Besonderheiten heraus. Besonderer Fokus wird aus dokumentarischen Überlegungen auch auf die bereits verloren gegangenen Gebäudeteile und Gestaltungen gelegt. Zur historischen Kontextualisierung wird der Werdegang der Architekten, die mit dem nur wenig später fertig gestellten und gestalterisch verwandten Internationalen Congress Centrum den Höhepunkt ihres Schaffens erreichten, nachgezeichnet und Querverweise zu ähnlichen Gebäuden der Zeit hergestellt. Dabei bildet ein wichtiger Anhaltspunkt die gesellschaftsideologische Überhöhung der Bedeutung von Mobilität in einer von einer Mauer umschlossenen Stadt.
Anlass und Ziel der Arbeit ist ein Beitrag zur drängenden Debatte um den Denkmalwert von Architektur und Städtebau der 1970er Jahre, der Epoche zwischen Nachkriegs- und Postmoderne, die die bislang nur unzulänglich mit den Begriffen "späte Nachkriegsmoderne" oder "Restmoderne" umschrieben wurde.
Lukas FoljantyDer Verkehrsknoten SteglitzBierpinsel - U-Bahnhof Schloßstraße - Joachim-Tiburtius-Brücke
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Über den Autor
Lukas Foljanty, Jahrgang 1982, Dipl.-Ing. Stadt- und Regionalplanung (TU Berlin)
Die hier beschriebene Veröffentlichung entstand als Semesterarbeit unter Betreuung von Prof. Dr. Dolff-Bonekämper, Lehrstuhl für Denkmalpflege am Institut für Stadt- und Regionalplanung der TU Berlin.
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